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Herbst in Japan – der Klassenclown unter den Jahreszeiten

Gäbe es eine Schule für Jahreszeiten, wäre der japanische Herbst (aki) nach spätestens zehn Minuten in jedem Sinne aus dem Unterrichtgeflogen. Nicht nur seine farblichen Komponenten (koyou), wie das Rot der Ahorne (irohamomiji) und das blendende Gelb der Ginkgobäume, wiedersetzen sich der allgemeinen Ordnung, auch kulinarisch und unterhaltungsindustriell ist der Herbst die beste Zeit, um in Japan auf Abenteuerreisen zu gehen. Während sich in germanischen Gefilden nämlich der Sommer mit Wohlfühltemperaturen, Ferien und Sonnenschein dafür eignet, erfreut er sich in Japan mit Saunaatmosphäre und Mosquitoorchester nur sehr eingeschränkter Beliebtheit.

 

Ab Mitte Oktober kehrt sich dieses Kräfteverhältnis aber ins Gegenteil: Ist die Zeit des «goldenen Lichts» in mitteleuropäischen Regionen doch bedeutend durch «itschiges» Wetter limitiert, und deshalb eher von mythologischer Qualität, kann man in Japan die Wahrwerdung dieses Mythoses erleben. Diese Jahreszeit ist kein Anfang des Jahresendes, sondern vielmehr ein Fest der Lebensfreude, bei dem die berühmten Herbstfarben (koyou) mit der quirligen Umwelt Karneval feiern.

Dabei beginnt dieses visuelle Musical, anders als bei der Kirschblüte, nicht im Süden, sondern im kälteren Norden, und während sich die Pfade und Berghütten von Mount Fuji wetterbedingt in den Winterschlaf begeben, sind bezähmbarere Berge wie der 599 Meter hohe (aufrunden scheint aus der Mode gekommen zu sein) Mount Takao ein Ballungsraum für Wochenendausflügler. Aus eigener Erfahrung kann ich diese Wanderung sehr empfehlen, fehlt im logistisch optimierten Japan auf einem Berggipfel natürlich weder Seilbahn, noch Sessellift oder Sake-servierendes Restaurant. Auch die Auswahl an Souvenirs (omiyage), die es in Lawinen von so einem Ausflug pflichtbewusst allen Parteien des sozialen und professionellen Umfeldes mitzubringen gilt, soll nicht ungelobt bleiben. Es gibt deshalb kaum eine bessere Zeit, um ohne die Gefahr von Hitzzschlägen oder Mosquitovampirismus die Natur Japans zu erforschen und in den traditionellen Hotels (ryokans) nördlicher Regionen wie Tohoku und Hokkaido in heissen Quellenzu baden.

 

Kulinarisch ist der Herbst eine Symphonie, komponiert aus Süßkartoffel (satsuma imo), Kastanie (maron) und Kürbis (kabocha), deren kreativer Interpretation man sich hier mit fast religiösem Eifer widmet.

Dank Japans Kommerzwahn in Verbindung mit internationalen Feiertagen, wird dabei besonders Kürbissen während Halloween eine... unheimliche Aufmerksamkeitzuteil. Touristen, die eventuell ein kleines Problem mit der sehr freien Interpretation religiöser Feiertage haben, seien dabei besänftigt: Genug Ablenkung von dieser groben Ungenauigkeit ist in allem Mass vorhanden. Von dem wirbeligen Treiben inspiriert, stehen nämlich auch traditionelle Erntefestlichkeiten wie das Tsukimi (Mondbeschauungs-) Fest und diverse bunte Laternenfeste der frivolen Natur in Nichts nach.

 

In Japan ist der goldene Herbst also nicht die Ruhepause für vorweihnachtliches Hibernieren, sondern die optimale Zeit für Künstler, Wanderer, Modeenthusiasten, Kulturinteressierte... generell Jeden, um Japan von seiner besten Seite erleben zu können. Gut, der ein oder andere Taifun entwickelt in dieser Zeit auch ein recht intensives Interesse an dem Land, das lässt sich aber vollkommen mit meteorologischer Neugier kompensieren.

 

Text: Angelina Frank

Bilder: Angelina Frank

            Andreas Langsdorff



Japans Papierwirtschaft

Japan ist ein Land, in dem Papier (kami) schon seit Jahrtausenden einen hohen Stellenwert in jedem Lebensbereich einnimmt. Es wird als Trennwand (shooji) in Häusern und Hütten verbaut, ist ein Medium für Kalligraphie, Malerei und Origami, wird in den ausgedehnten Sommermonaten in seiner gespannten oder gefalteten Form (uchi) zur Vermeidung von Hitzschlägen in Oszillation versetzt, und ziert mit kunstvollen Aufschriften als Laterne (toro) den Eingang eines jeden Tempels und vieler gastlicher Einrichtungen (izakaya). Hat es seinem Zweck gedient, wird es im Falle von Milch- oder Saftkartons vor der Beförderung in die Mülltüte sogar gewaschen und an der Wäscheleine getrocknet, und in besonderen Fällen des Nachbarschaftswettstreits sogar... gebügelt. Nicht zuletzt wird Papier in der national gewissenhaft durchgeführten Mülltrennung liebevoll von allem «nicht brennbarem» Abfall separiert. Koryphäen brauchen ihren Freiraum.

 

Aus dieser Achtsamkeit bei der Zelluloseverwertung könnte man es sich fast erschliessen: Japan liebt Papier in allen Formen, Farben und Funktionen. Seine prominenteste Funktion ist hier jedoch noch nicht erwähnt worden. In dieser ist es sowohl in der Fraglichkeit seiner Effektivität, als auch in seiner Gebrauchsmenge nur von der inflätionär eingesetzen Plastiktüte übertroffen.

 

 

 

Es geht um – die Bürokratie. Aufgewachsen in der deutschen Kultur- und somit Amtslandschaft, sind meine Standards für dieses Wort hoch gesetzt, ist Deutschland doch weit über seine Grenzen bekannt für hauptsächlich drei kulturelle Schätze: Das bier- und schnitzelbehaftete Oktoberfest, geschwindigkeitsliberale Autobahnen und ein rigoros dokumentbehaftetes Verwaltungswesen. Das glänzt an vielen Stellen mit Funktionalität, führt allerdings in beinahe gleicher Quantität zu verzweifeltem Ordneraktionismus in der Haushaltsorganisation.

 

Bei allem Respekt aber für die Bemühungen Deutschlands um die alleinige Spitzenposition in der

Disziplin «Papierwirtschaft»: Japan ist eine klar überlegene Streitmacht auf diesem Schlachtfeld.

 

Wo man sich in Deutschland mit Ordnern, Stempeln und deren Lagerung abmüht, ist dies im japanischen Verwaltungswesen kein organisatorischer Makel, sondern ein inoffizielles Statussymbol: Je mehr Papier, desto professioneller das Erscheinungsbild. Ob Postamt oder Stadtbüro, es stapeln sich in einer beige-grauen, friedlichen Tristesse, Ordner über Ordner, unter Ordnern und mit dazwischen eingelegten Ordnern. Wo in Zeiten des Internets die Menge an Papier nach Kräften

limitiert wird, scheint in dem sonst technologisch innovativen Japan eine Raum-Zeit-Anomalie platziert zu sein.

Trotz der 4D Kinos mit wackelnden Sitzen und den handyspielenden Bahngästen, ist es in Japan für einige Firmen nicht einmal selbstverständlich, mehr als einen Computer zu besitzen – sehr auf Kosten zahlreicher E-Mail Adressen, die in der Ecke zusammengekauert ihre Existenz hinterfragen. So wird es zur absurden Herausforderung, für den persönlichen Haushalt eine Internetverbindung anzulegen, denn die Internetfirma hält Computer und damit alle

Kommunikation jenseits des Telefons für eine unbrauchbare Modeerscheinung. Auch der gängigste Zahlungsweg für monatliche Rechnungen ist dementsprechend keine Online-Überweisung, sondern ein Gang zum Tresen des nächstgelegenen Mini-Supermarkts (konbini).

 

Setzt man einen Fuss in die Stadtbüros Tokyos, so fühlt man sich gleich wie in der europäischen Heimat: Eine vorsichtige Schätzung der Wartezeit resultiert auch dort in einem

«Heute kann ich leider nicht zur Arbeit kommen, ich bin im Stadtbüro». Oft genügt schon das Wort «Stadtbüro». Wer dementsprechend versucht der japanischen Sommerhitze zu entgehen, ohne auf einen Ort innerer Einkehr verzichten zu wollen, kann den Gartenbesuch von Juli bis September gepflegt durch den ein oder anderen Amtsgang ersetzen und sich selbst überzeugen von der ehrfurchterregenden Kreativität, die der Zellulose in Japan zuteil wird.

 

Text: Angelina Frank

Bilder: Angelina Frank

            Andreas Langsdorff

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Japan, deine... Steine?

Tokyo mag zwar ein Lebensraum von über 30 Millionen Menschen sein, doch ist die Metropole alles andere als eine homogene Masse. Was jedoch alle Areale dieser Stadt gemeinsam haben, ist eine komplexe Struktur, die unter der Oberfläche verborgen liegt und wie ein mysteriöses Uhrwerk den Grundfeiler für das scheinbar selbstverständlich funktionierende, alltägliche Leben bildet. Einen Blick hinter diese Fassade aus Perfektion ist besonders für Ausländer schwierig zu erhaschen, jedoch eröffnet sich ein Fenster zu dieser versteckten Welt in einem unscheinbaren Element der Stadt- und Gartenarchitektur: Den... Steinen! Worin diese Erkenntnis begründet liegt, ist unter anderem Thema dieses Beitrages.

 

Zum einen sind Mineralien, integriert in die mit Firmenlogos und Leuchtreklamen gespickten Glassfassaden und Wolkenkratzer ein Teil berechneter Funktionalität. Die Fassaden wirken poliert, und kein Winkel ist zu versteckt für die öffentlichen Säuberungskolonnen. In diesen Arealen findet sich in geometrisch angeordnetem Grün kaum ein Hinweis auf die Wechselwirkung der japanischen Gesellschaft mit der Unberechenbarkeit der Natur.

Die Nahtlosigkeit dieser funktionierenden Welt scheint wie von selbst entstanden zu sein und die Gesellschaft fügt sich mit ihrem Verhalten harmonisch in diese Idee ein. Nimmt man sich die Zeit für eine nährere Betrachtung des tonnenschweren Konstruktionsmaterials solcher Orte, wie es aus rohen Fragmenten poliert, angeordnet und geformt wurde, bekommt man eine Idee von dem mechanischen und intellektuellen Aufwand, der in die Konstruktion der Szenerie investiert wird. Einem aufmerksamen Auge wird die Arbeit, die mit der Erbauung solcher Stadtlandschaften verbunden ist, nämlich nicht entgehen. Versteckte Schreine und ganz besonders Gärten (niwa) und Parks (kouen) erweitern diese Dynamik, und lassen sich überall in Tokyo finden. Denn elementar für diese ästhetischen Teile der Stadtlandschaft sind sie ebenfalls, die Steine. Noch immer das gleiche Grundmaterial, sind sie hier nicht reduziert auf ihre Funktion, sondern bewundert für ihre Identität als jahrtausendealte Relikte, als eine Art Pfad in die eigene Gedankenwelt, zum Innehalten und Reflektieren. Aber auch hier sind sie sie nicht nur ein Spiegel geologischer Zeitalter, sondern auch logistischer Meisterleistungen.

Eine der vielen Enklaven, in denen das sichtbar wird, ist der Kiyosumi-Shirakawa Garten, der sich mit seiner Lage direkt an der gleichnamigen U-Bahn Station ein sehr ineffektives Versteck ausgesucht hat. Konstruiert in der Kyohou Zeit, zu Beginn des 18. Jahrhunderts, widmete Iwasaki Yataro, der Gründer von Mitsubishi diesen Garten Ende des 19. Jahrhunderts der Öffentlichkeit als Erholungsfläche. Die dort zu findende Naturbezogenheit, verkörpert durch Wiesen, Bonsais, eitle Schildkröten, sehr gefrässiger Koikarpfen und die dafür umso erhabeneren Kraniche, hat oberflächlich nichts mit der modernen Welt Japans gemeinsam. Wandert man aber über die so intuitiv angelegt aussehenden Felspfade (iso watari) an und über den angelegten Teich (iku) sollte einem bewusst sein, dass auch hier nichts dem Zufall überlassen wurde. Jeder dieser vermeintlich zufällig platzierten Steine wurde aus ganz Japan in feinsinniger Augenarbeit ausgewählt und dann per Wasserweg zu der jetzigen Liegestätte befördert. So unerwartet es deshalb ist, illustriert die vielseitige Verwendung dieser Ressource tatsächlich einen der zentralsten kulturellen Eckpfeiler des japanischen Denkens: Die oberflächliche Einfachheit kann nur durch ein subtiles, aber beträchtliches Maß an menschlichem Arbeitsaufwand realisiert werden, der für Aussenstehende zwar überall Anzutreffen, aber nur mit besonderer Aufmerksamkeit auch bewusst wahrnehmbar ist.

 

Text: Angelina Frank

Bilder: Angelina Frank

            Andreas Langsdorff



Kyoto und Nara - Im Spannungsfeld touristischer Massenattraktion und kulturellem Tiefgang

Kyoto (京都), von 796 bis 1865 Hauptstadt Japans und ehemaliger Wohnort der kaiserlichen Familie, gilt für die globale Gemeinschaft der Japanreisenden als der Inbegriff japanischer Kultur - und ist damit fast automatisch der Stützpfeiler eines jeden gut durchdachten Reiseprogramms. Als ein Ballungsraum von Kultur und Tradition, mit einer reichhaltigen Ansammlung an historischen Gebäuden und hunderten Tempeln (Otera) und Schreinen (Jinja), ist der Status als touristisches Zielobjekt durchaus gerechtfertigt. Auch die friedliche Schönheit japanischer Zen Gärten (deren Faszination sich Ihnen als Leser dieser Website sicherlich schon eröffnet hat) und  die Existenz kulinarisch facettenreicher Straßenmärkte (wie dem Nishiki Markt) machen Kyoto attraktiv für vielseitig interessierte Reiseliebhaber.

Die logische Konsequenz dieses Kultur- und Naturreichtums ist eine Touristendichte, die eine authentische Erfahrung der Gegend durchaus erschweren kann. Insbesondere bei der Studie von landschaftlichen Besonderheiten, wird die Spirtualität beispielsweise eines Shintoschreines desöfteren „stilvoll“ ergänzt von Regenschirmen und Selfie-sticks. Und auch das leuchtend-rosane Hemd der Vorderperson kann schon einmal von der kalligraphischen Rafinesse eines jahrzehntealten Palast-interiors ablenken.

Wer sich allerdings wenige Schritte abseits der in Touristenführern ausgeschriebenen Pfade bewegt, findet sehr schnell Enklaven von landschaftlicher Schönheit, von Bambuswäldern, moosbewachsenen Schutzgöttern und frivolem Vogelgesang.    

Der Besuch des Inari Schreins (Fushimi Inari Taisha), der mit den gut tausend roten „Torii Toren“ zu den Hauptbesichtigungszielen Kyotos zählt, bildet davon keine Ausnahme. Bedarf es am Fuße des Aufstieges noch einiger Akrobatik zum erfolgreichen Vermeiden von Regenschirmen, Selfie-sticks und unfreiwilligen Photobombings, verebbt der kollektive Wanderenthusiasmus recht schnell, sodass ab der zweiten Hälfte des Aufstieges die Luft nicht nur klarer und die Nebelschwaden mysteriöser, sondern die Landschaft friedlicher und urtümlicher wird. Wagt man daraufhin einen Abstieg über einen ungepflasterten Pfad, belohnt dieses Wagnis Einen mit der Zurschaustellung einer Parallelwelt. Zwischen steinernen Tierwesen führen Pfade durch eine ruhige Waldlandschaft, deren Grüntöne überraschende Ähnlichkeit mit denen eines europäischen Mischwaldes haben. Allerdings zeigt sich hier bei einem genauren Blick in die Baumkronen kein Nadelholzwald (matsu), sondern ein Bambuswald, gespickt mit japanischen Ahornbäumen (iroha momiji). 

 Wer so, abseits der eingetretenen Pfade, auf den Geschmack der friedlichen und vielseitigen Natur Kyotos gekommen ist, für die wird ein Besuch in der südlich von Kyoto liegenden historischen Stadt Nara (奈良), erste Hauptstadt Japans noch vor Kyoto von 710-784, eine zutiefst erfreuliche Fortsetzung dieser Erfahrung sein.

Hauptsächlich nicht nur besucht wegen ihrer Geschichtsträchtigkeit, sondern der dort angesiedelten Hirsche (shika), bildet Nara ein bekanntes Touristenziel, ist jedoch fern von den Massenbewegungen und der Großstadtatmosphäre, die es in Kyoto elegant zu ignorieren oder abenteuerlustig zu umgehen gilt. Auch hier gilt die Regel: Je weiter der Fußweg, desto authentischer die Landschaft. Läuft man von der zentralen Station Naras in gerader Linie Richtung Osten, trifft man unausweichlich auf zahlreiche geweihtragende Gesellen, die im Shintoismus als göttliche Botschafter heilig sind, ihre moderne Existenz jedoch der Jagd nach erwerbbaren Getreidecrackern gewidmet haben. Nach längerem Erwandern der Hirschregion erschließt sich ein mehr und mehr urtümliches Waldgebiet. Es finden sich in dieser Region nicht nur gut versteckte japanische Hotels (ryokan), sondern auch kleine und größere Schreine (durch die charakteristischen roten Tore (torii) leicht von den buddhistischen Tempeln zu unterscheiden). Nach dem kulturellen Sperrfeuer Kyotos ist Nara damit ein wundervoller Ort, um zwischen friedlicher Natur und sich-kunstvoll (wenn auch etwas durchschaubar) verbeugenden Hirschen die gesammelten Eindrücke zu sortieren. Es zeigt sich so einmal  mehr, dass die steinigen Wege, wie so häufig im Leben, die lohnenswertesten sein können.    

 

Text: Angelina Frank

Bilder: Angelina Frank

            Andreas Langsdorff



Die Japanische Kirschblüte – ein kultureller Wirbelwind in Rosé

Wenn ganze Heerscharen an Picknickdecken die Parks und Grünflächen Japans besetzen, wenn der Anteil an fremdsprachigen Konversationen in Bahnen und auf öffentlichem Gelände sein jährliches Maximum erreicht, wenn die Luft erfüllt ist von den den Düften gegrillten Proteins (yakiniku) und wenn die Regale von Cafés, Geschäften und Restaurants dominiert werden von rosanen Elementen und Dekorationen dass manch‘ einer seine Farbwahrnehmung hinterfragen möchte, dann weiß ein jeder, es ist soweit: Bügelt die Picknickdecken, poliert die Esstäbchen (hashi), leert die Speicherkarten eurer Kameras: Die Kirschblütensaison (hanami) hat begonnen.

Mit einem botanischen Spektrum von über hundert verschiedenen Arten und einer Blütenzahl, die von fünf bis in die Hunderte reicht, sei eine detailliertere Bezeichnung hier aus Zeitgründen umgangen. Sie alle haben allerdings die charakteristische Kerbe in den Blütenblättern und eine rosa-weiße Färbung (mit der gelben «Ukon»-Variation als Ausnahme) gemeinsam, die in hundertfach verschiedenen Ausführungen auf Gebrauchswaren aller Art zu finden ist.

Die Kirschblüte ist inzwischen so essentieller Bestandteil der japanischen Kommerz- und Kulturlandschaft, dass es eine beträchtliche Herausforderung für die menschliche Vorstellungskraft ist, eine Zeitalter ohne sie zu erdenken. Ihre Beginne liegen in der Tat schon das ein oder andere Jährchen zurück: Zu finden sind die Wurzeln in der Nara Periode (8. Jh n. Chr.), in der eigentlich den Blüten der Pflaumenbäume (ume no ki) gehuldigt wurde.

Doch, wie so häufig, wurde im Laufe der Zeit die Bescheidenheit von Prunk überdeckt und die deutlich pompösere Kirschblüte ersetzte innerhalb eines Jahrhunderts die Vorherrschaft der Pflaumenblüte, und ist seit der Heian Periode das Synoym dieser Zeit.

Heutzutage ist die Kirschblütenzeit ein Sinnbild für das gemeinsame Picknicken mit Bekannten und wird, typisch für Japan, untermalt von saisonbedingten Köstlichkeiten. Ein typischer Picknickkorb enthält neben dem omnipräsenten (gefüllten) Reisbällchen (Onigiri), frittierten Hühnchen (karaage), süßem Fischkuchen (Kamaboko), Miso suppe (miso shiru), japanischem Reiswein (nihonshu) und zahlreichen anderen gut teilbaren Speisen, insbesondere Kirschblüten-Reiskuchen (sakura mochi/dango), eingewickelt in ein salziges Kirschblütenblatt und mit einer sehr charakteristischen, blumigen Note, die sich leicht auch in Eiscreme, Pfannkuchen, Muffins, Frappuccinos, Reisbällchen und Softdrinks einarbeiten lässt. Der Fantasie sind in Japan bekanntlich wenig Grenzen gesetzt und für die kulinarische Interpretation der Kirschblüte ist dies einmal mehr der Fall.

Obwohl das Kirschblütenfest (Hanami) oder wortwörtlich die Blumenbetrachtung (Hana = Blume, Mi = Ansehen) zu heutiger Zeit zu einem der größten naturbezogenen Massenevents Japans zählt, sind die Ürsprünge dieses Festes doch von friedlicher, philosophischer Natur. Ursprünglich stand nicht der Genuss von Köstlichkeiten, Getränken und Konversation im Mittelpunkt, sondern das Beobachten einer Parabel auf die (menschliche) Existenz und deren Vergänglichkeit.

In westlichen Kreisen über Jahrhunderte illustriert durch lateinische Phrasen wie «memento mori» (Gedenken dem Tode), wird diese Vergänglichkeit in Japan verkörpert durch den Kontrast zwischen der einzigartigen Schönheit der Kirschblüte und deren Kurzlebigkeit. Es ist birgt durchaus ein wenig Ironie in sich, dass ein Fest zur Versinnbildlichung des immaterialistischen Wertes des Lebens zu einem der grössten Magneten des Kommerzes und Konsums geworden ist. Wobei man hier anmerken muss, dass sich diese beiden Elemente hier zugebenermaßen sehr gut ergänzen: Nach einem ausgedehnte Hanami Picknick mit Freunden, Verwandten oder Arbeitskollegen ist sicherlich die ein oder andere Person froh über eine kurzzeitige Preisschildamnesie... denn zu kaum einer anderen Jahreszeit bereitet der Erwerb von Lebensmitteln und Dekoration so viel Freude, wie zu dieser. Die angebotenen Lunchboxen («hanami bento»), Textilien und Dekoartikel werden nämlich in der Tat mit solch einer künstlerischen Rafinesse angefertigt, dass es eine ungeahnte Freude bereitet, die Saison in ihrer ganzen Fülle «auszukosten».


Ob also spirituell motiviert oder ganz weltlich: Umgeben von hellen Blütendächern, guter Gesellschaft und köstlicher Delikatessen ist es kaum ein Wunder, dass die Kirschblütenzeit zu den unangefochtenen Jahreshighlights eines jeden Japaners sowie Touristen zählt.

Text: Angelina Frank
Bilder: Angelina Frank und Yiyue Jiang



Rapsblüten und Pflaumenknospen – Ein ungewöhnliches Farbenspiel im Herzen Tokios

Noch herrscht Winter in der Pflanzenwelt Tokyos und die Weiten der zahlreichen Parkflächen lassen die angesiedelte botanische Vielfalt nur erahnen. Es machen sich allerdings (wie hier im Hama-rikyu Park) bereits unaufällig die ersten Boten des bevorstehenden Frühlings bemerkbar. Wobei «unaufällig» in diesem Fall sehr abhängig von der persönlichen Sensibiliät für den durchaus recht intensiven Gelbton der dort angesiedelten Rapssaaten (jap.: nanohana) ist. In diesem Jahr durch die warmen Temperaturen schon ungewöhnlich früh aus dem Winterschlaf geweckt, posieren nun nicht nur die weißen und rosafarbenen Knospen des japanischen Pflaumenbaums (jap.: ume no ki) traditionell zum Frühlingsauftakt für die Kameras der vielen Touristen und Naturliebhaber, sondern auch die etwas «dezenteren», sonst erst mitte März erblühenden Rapssaaten gesellen sich dazu.

 

Wäre der Hama-rikyu Garten nicht eines der kulturellen Erbstücke der frühen Edo Periode, könnte man diese ungewöhnliche Kombination fast als eine jugendlich-rebellische Phase der dort angesiedelten Pflanzenwelt verstehen. Lässt man sich allerdings von der unkonventiellen Farbkombination überzeugen, dann liegt die Schönheit der Landschaft in diesem Jahr nicht nur in dem Kontrast zwischen wolkenkratzenden Bürogebäuden und den davor ruhenden Parkflächen, die als Zufluchtsort für zahllose in-ihr-Mittagessen und Smartphones vertieften Geschäftsleute dienen, sondern auch in den erfrischend verspielten Farbkombinationen von zwei einander sonst eher fremden botanischen Nachbarn.

 

Obwohl der Kirschblütenzeit (jap.: sakura no hana) im späten März keine andere Jahres- oder Blütezeit an Berühmtheit gleichkommen kann (man siehe nur die Namensgebung dieses Blogs), war es tatsächlich die etwas bescheidenere Pflaumenblüte, die ursprünglich während der Nara Periode im 8. Jahrhundert n. Chr. als «hanami» oder auf Deutsch vielleicht etwas weniger elegant: «Blumensichtung» bezeichnet wurde. Zudem erfüllen die ebenfalls rosanen bis weißen Blüten als Frühlingsvorboten mit ihrer Leichtigkeit schon im Februar die Strassen, Parks und insbesondere Tempel in Japan mit traditionellen Festlichkeiten (jap.: ume matsuri), die die Atmosphäre der Stadt mit Klängen, Speisen und nicht zuletzt der Verkostung von Pflaumenwein (jap.: umeshu) bereichern.

Ein Beispiel für diese Feierlichkeiten findet sich auf dem Gelände des Yushima Tenjin Schreins, nahe des Hongo Campuses der University of Tokyo, im Herzen Tokyos. Zu den angebotenen Waren zählen nicht nur die für westliche Geschmacksknospen exotischen Gerichte wie Takoyaki, Okonomyaki, Reiskuchen und Soba-Nudeln. Insbesondere die Teegetränke und musikalisch lebhaften Vorführungen ziehen jährlich eine beträchtliche Besucherzahl zu diesem Festgelände, wobei als Anreiz auch die Möglichkeit, dem Pflaumenwein zu Fröhnen durchaus nicht an letzter Stelle steht. Wer sich nach all dem Genuss nicht mehr ganz sicher ist, ob es sich um ein Kirsch- oder Pflaumenblütenfest handelt, dem sei ein genauerer Blick auf die Blütenblätter nahegelegt: Im Gegensatz zu Kirschblüten, haben die Pflaumenblüten keine Kerben in ihren Blättern und bilden so eine zuverlässige Datierungsmethode für zelebrierende Besucher. In all diesen Eindrücken bestätigt sich, dass Japan ein Land ist, in dem Jahreszeiten die Landschaft färben wie kaum an einem anderen Ort.

 

Text und Bilder: Angelina Frank