Herbst in Japan – der Klassenclown unter den Jahreszeiten

Gäbe es eine Schule für Jahreszeiten, wäre der japanische Herbst (aki) nach spätestens zehn Minuten in jedem Sinne aus dem Unterrichtgeflogen. Nicht nur seine farblichen Komponenten (koyou), wie das Rot der Ahorne (irohamomiji) und das blendende Gelb der Ginkgobäume, wiedersetzen sich der allgemeinen Ordnung, auch kulinarisch und unterhaltungsindustriell ist der Herbst die beste Zeit, um in Japan auf Abenteuerreisen zu gehen. Während sich in germanischen Gefilden nämlich der Sommer mit Wohlfühltemperaturen, Ferien und Sonnenschein dafür eignet, erfreut er sich in Japan mit Saunaatmosphäre und Mosquitoorchester nur sehr eingeschränkter Beliebtheit.

 

Ab Mitte Oktober kehrt sich dieses Kräfteverhältnis aber ins Gegenteil: Ist die Zeit des «goldenen Lichts» in mitteleuropäischen Regionen doch bedeutend durch «itschiges» Wetter limitiert, und deshalb eher von mythologischer Qualität, kann man in Japan die Wahrwerdung dieses Mythoses erleben. Diese Jahreszeit ist kein Anfang des Jahresendes, sondern vielmehr ein Fest der Lebensfreude, bei dem die berühmten Herbstfarben (koyou) mit der quirligen Umwelt Karneval feiern.

Dabei beginnt dieses visuelle Musical, anders als bei der Kirschblüte, nicht im Süden, sondern im kälteren Norden, und während sich die Pfade und Berghütten von Mount Fuji wetterbedingt in den Winterschlaf begeben, sind bezähmbarere Berge wie der 599 Meter hohe (aufrunden scheint aus der Mode gekommen zu sein) Mount Takao ein Ballungsraum für Wochenendausflügler. Aus eigener Erfahrung kann ich diese Wanderung sehr empfehlen, fehlt im logistisch optimierten Japan auf einem Berggipfel natürlich weder Seilbahn, noch Sessellift oder Sake-servierendes Restaurant. Auch die Auswahl an Souvenirs (omiyage), die es in Lawinen von so einem Ausflug pflichtbewusst allen Parteien des sozialen und professionellen Umfeldes mitzubringen gilt, soll nicht ungelobt bleiben. Es gibt deshalb kaum eine bessere Zeit, um ohne die Gefahr von Hitzzschlägen oder Mosquitovampirismus die Natur Japans zu erforschen und in den traditionellen Hotels (ryokans) nördlicher Regionen wie Tohoku und Hokkaido in heissen Quellenzu baden.

 

Kulinarisch ist der Herbst eine Symphonie, komponiert aus Süßkartoffel (satsuma imo), Kastanie (maron) und Kürbis (kabocha), deren kreativer Interpretation man sich hier mit fast religiösem Eifer widmet.

Dank Japans Kommerzwahn in Verbindung mit internationalen Feiertagen, wird dabei besonders Kürbissen während Halloween eine... unheimliche Aufmerksamkeitzuteil. Touristen, die eventuell ein kleines Problem mit der sehr freien Interpretation religiöser Feiertage haben, seien dabei besänftigt: Genug Ablenkung von dieser groben Ungenauigkeit ist in allem Mass vorhanden. Von dem wirbeligen Treiben inspiriert, stehen nämlich auch traditionelle Erntefestlichkeiten wie das Tsukimi (Mondbeschauungs-) Fest und diverse bunte Laternenfeste der frivolen Natur in Nichts nach.

 

In Japan ist der goldene Herbst also nicht die Ruhepause für vorweihnachtliches Hibernieren, sondern die optimale Zeit für Künstler, Wanderer, Modeenthusiasten, Kulturinteressierte... generell Jeden, um Japan von seiner besten Seite erleben zu können. Gut, der ein oder andere Taifun entwickelt in dieser Zeit auch ein recht intensives Interesse an dem Land, das lässt sich aber vollkommen mit meteorologischer Neugier kompensieren.

 

Text: Angelina Frank

Bilder: Angelina Frank

            Andreas Langsdorff